Naturpädagogik, Pflanzenkunde

Algen an Nord- und Ostsee: Algen am Strand und im Herbarium

von Dr. Bruno P. Kremer

Wer Urlaub an der Nord- oder Ostsee macht, der begegnet ihnen fast täglich: angespülten Algen. Auf den ersten Blick etwas glitschig, sind sie doch wahre Farben- und Gestaltungskünstler. Dieser Artikel informiert über Algen am Strand und verrät sogar, wie man ein Algenherbarium anlegt.

Algenpest oder faszinierend schöne Pflanzen? © Dr. Bruno P. Kremer

Inhaltsverzeichnis

Nach aller Erfahrung erzeugen driftende Tangbüschel am Strand durchweg zwiespältige Gefühle. Algen bzw. ihre deutlich größeren Ausgaben, die man Tange nennt, gelten bei vielen Küstenurlaubern als recht fragwürdiger und deshalb nicht unbedingt gerne wahrgenommener Auswurf des Meeres. Viele ordnen sie gar irgendwo zwischen Algenpest und Killeralgen ein. Zugegeben: Wer einen Badestrand lieber so hochsteril erleben möchte wie den Hotelpool, kann den folgenden Text jedoch getrost überblättern. Für alle anderen hält er indessen einige nette Überraschungen bereit.

Gewöhnlich sorgen die Saubermänner der Kurverwaltung schon frühmorgens dafür, dass umhertreibende oder angespülte Algen als angeblich unliebsame Zutaten immer rechtzeitig aus dem Blickfeld der Strandgäste verschwinden. Aber: Man sollte sich die kleinen und größeren Arten doch einmal etwas genauer anschauen. Algen fühlen sich gar nicht so glibberig an, wie die meisten Mitmenschen befürchten. Dafür überraschen sie bei genauerer Inspektion mit einem ganz ungewöhnlichen Formenspektrum sowie mit ausgesucht abgestufter Farbigkeit.

Klassische Vielfarben-Koalition der Algen

Landpflanzen inszenieren üblicherweise unterschiedliche Grünorgien – von vornehmer Blässe bis hin zu gesättigtem Schwarzgrün. Daran ändern auch die Blüten und Früchte nicht viel, die als bunte Saisonartikel ohnehin nur vorübergehend den Aspekt bestimmen. Wald ist eben normalerweise ziemlich monochrom grün, und die grüne Wiese ist ohnehin bereits sprichwörtlich.
Bei den Algen und speziell bei den im Meer küstennah vorkommenden Arten liegen die Dinge nun gänzlich anders: Sie gewanden sich in erstaunlich vielstufig abgesetzten Nuancen und bilden somit eine enorm bunte Truppe mit einer beeindruckenden Farbpalette. Darunter gibt es natürlich auch Grünalgen, die in ihrer Pigmentsetzung mit den Landpflanzen völlig übereinstimmen. Bei den Algen hat die Evolution jedoch auch noch völlig andere Musterbildungen entwickelt und erprobt. Eine bemerkenswerte Alternative stellen beispielsweise die Rotalgen dar. Besonders bei den Arten tieferer Standorte fallen die Rotkomponenten unübersehbar in den Blick: Vom kräftigen Karmin über feuriges Purpur bis hin zu sattem Rubinrot ist eine vielstufige Palette zu bestaunen. Diese besondere Pigmentausstattung ist etwas völlig Einzigartiges. Die beteiligten Farbstoffe kommen bei keiner höheren Landpflanze vor.

Algen im Angespül © Dr. Bruno P. Kremer

Die goldbraune Linie

Schon lange vor den Landpflanzen haben im Meer Algen mit weiteren Farbprogrammen Karriere gemacht. Außerordentlich erfolgreich war beispielsweise die Kombination von zartem Chlorophyllgrün mit kräftig deckendem Gelbbraun, wobei Farbstoffe aus der Klasse der Carotenoide zum Einsatz kommen. Solche Farbstellungen zeigen neben den überaus vielgestaltigen, aber mikroskopisch kleinen Kieselalgen vor allem die artenreichen Verwandtschaftsgruppen der Braunalgen. Ihre Farbstellung variiert fallweise von hellem Goldgelb über diverse Olivschattierungen bis hin zum gesättigten Schokoladenbraun.

Von filigran bis knüppeldick – der Star unter den Algen

Meeresalgen sind nicht einfach nur ein untermeerischer Ersatz für Kopfsalat oder Petersilie, sondern bestechen neben ihren vielen Farben auch mit ausgesucht hübschen Formen. Unter dem üblichen Strandgut finden sich flächige, dünnhäutige und etwas lappige Gebilde, die irgendwie an einen Folienfetzen erinnern. Sie stellen zweifellos die einfacheren Formtypen dar, lassen sich aber mit ihren interessanten Faltenwürfen drapieren wie die Damengarderobe auf mittelalterlichen oder späteren Genrebildern. Ungleich größer ist indessen der Formenzauber der betont feinblättrigen oder gar buschig verzweigten Algen. Hier finden sich gleichsam die Starmannequins unter den Meeresalgen – bemerkenswert grazile Gestalten mit feinfädig filigranem Dekor oder ganz anderem Design, das mitunter schon fast die Auflösungsgrenzen unserer Augen überschreitet. Diese Typenvielfalt bezaubert schon allein deswegen, weil sie so gänzlich unvertraut und fremdartig erscheint, denn in den Lebensräumen des Festlandes begegnet uns nichts Vergleichbares.

Übrigens: An den Ostseestränden ist der zu erwartende Artenreichtum meist noch recht überschaubar. An den Nordseeküsten wird es schon erheblich bunter. Und je weiter man Richtung Westen an den Stränden von Normandie und Bretagne unterwegs ist, umso größer ist das Artenangebot. In der nordwestlichen Bretagne kommen immerhin über 400 verschiedene Arten vor. Auch das Mittelmeer hält ein überraschend umfangreiches Artengefüge bereit.

Schönheit ist durchaus nicht vergänglich

Viele Meeresalgen sind nicht nur bildschön, sondern auch schön im Bilde. Was uns der Spülsaum zu Füßen legt, kann man zeichnen, fotografieren oder auch – und dazu regen diese Zeilen an – zu äußerst schmucken Herbarblättern verarbeiten. Auf diese Weise bleibt die unstrittige Schönheit der zumeist nur kurzlebigen Feinalgen erhalten. Sie ertragen nur keine direkte Sonnenstrahlung, denn wie fast alle pflanzlichen Naturfarben sind auch die Algenpigmente erstaunlich wenig lichtbeständig. Im Schatten bewahren die Schönen dagegen viele Jahre nicht nur ihre Form, sondern vor allem ihre Farbe.
Der unten angefügte Aktionstipp erläutert, wie man die farbigen Fundstücke fachmännisch verarbeitet. Man kann sich auf diese Weise einen Überblick über Artenbestände verschaffen oder auch nach eigenem Geschmack ganze Ensembles komponieren, so wie der Flutsaum sie zufällig zusammenführt.
Die so gewonnenen Deko-Stücke sind nicht nur eine bleibend wunderschöne Urlaubserinnerung. Man kann damit auch – ebenso wie mit gepressten Gartenblumen – Grußkarten oder anderes Korrespondenzgut für verschiedene Anlässe verzieren.

Anlage eines Algenherbars © Dr. Bruno P. Kremer

Tipps zum Mitmachen

Wie man Algen flachlegt

  • Am Strand bzw. im Spülsaum aufgesammelte Algen nicht in Wasser, sondern trocken in einer Plastiktüte transportieren.
  • Fadenbüschel zu Hause unter Leitungswasser (!) kurz abspülen und von überflüssigem Aufwuchs befreien.
  • Ausgesuchte Stücke im Handwaschbecken oder in einer flachen Schale unter Leitungswasser auf weißen Papierbögen ausbreiten, Verzweigungen mit Malpinsel oder Pinzette ordnen(1). die Unterlage langsam aus dem Wasser ziehen (2).
  • Papierbögen zuvor mit Bleistift beschriften: Algenart, Fundort, Datum…
  • Algen nur einlagig aufziehen – zu dichte Verzweigungen ausdünnen und flach nebeneinander ausbreiten.
  • Mit hergerichteten Algen belegte Bögen gründlich abtropfen lassen, auf Zeitungspapier legen, mit feinmaschigem Textil (Baumwolle, Gaze, Damenstrumpf o.ä.) abdecken und weitere Lage(n) Zeitungspapier auflegen (3).
  • Unter mäßigem Druck pressen und durchfeuchtete Zeitungszwischenlagen täglich auswechseln (4).
Fertige Herbarblätter © Dr. Bruno P. Kremer

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Über den Autor

Bruno P. Kremer hat Biologie, Chemie und Geologie studiert. Arbeitsschwerpunkte waren zunächst Labor- und Feldforschung zu Problemen der biochemischen Ökologie, später zunehmend Bearbeitung regionalkundlicher Themengebiete. Er hat zahlreiche Zeitschriftenbeiträge und Bücher zu biologisch- ökologischen Sachthemen sowie zur Naturerlebnispädagogik veröffentlicht.

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